„Alles kann wie ein Engel aussehen": Sirka Elspaß' zweiter Gedichtband
Update: 2025-08-22
Description
Schon in ihrem Debüt „ich föhne mir meine wimpern“ vollzog Sirka Elspaß elegant einen Spagat: Sie ließ einen eigenen Ton erkennen und zugleich ihre Zugehörigkeit zu bestimmten literarischen Traditionen erkennen, insbesondere zu den confessional poets, zu denen Anne Sexton und Sylvia Plath zählen.
Wie die Gedichte ihrer poetischen Vorläuferinnen, die explizit mit tradierten Mustern von Mutterschaft und Frausein abrechneten, so kontert auch Elspaß‘ lyrisches Ich Kindheits- und überkommene Weiblichkeitsmuster, eine lieblose Übermutter, Körperideale, hadert mit Essstörungen, prekären Zuständen und muss umgehen mit überbordender Sehnsucht, die aus der Erfahrung von Lieblosigkeit herrührt:
In „hungern beten heulen schwimmen“ finden sich zentrale Themen und stilistische Eigenheiten von Elspaß wieder. Das beginnt schon beim Titel, der wie „ich föhne mir meine wimpern“ Aktivität signalisiert und nun mit gleich vier Verben aufwartet.
Sie benennen nicht nur zentrale Facetten des Ichs, das hier spricht, und das sich als die Nahrung verweigerndes, auf etwas Metaphysisches gerichtetes, trauriges, aber dem Untergang trotzendes Ich zeigt. Die vier Verben überschreiben auch die vier Abteilungen des Bandes: jedem ist ein eigenes Kapitel zugeordnet. Diesen Kapiteln voraus geht wiederum eine Exposition. Konzeptuell ebenso wichtig wie diese Exposition ist jedoch das Motto:
Alles kann wie ein Engel aussehen. Sirka Elspaß zitiert hier das Langgedicht „Self portrait in a convex mirror“ des amerikanischen Dichters John Ashbery aus dem Jahr 1974. Die Komplexität ihres Mottos ist beträchtlich.
Bereits Ashberys Gedicht zitiert eines der berühmtesten Bilder der abendländischen Kunstgeschichte: Parmigianos „Selbstporträt im Konvexspiegel“ aus dem Jahr 1523 oder 1524. Es hängt im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Man darf annehmen, dass Elspaß dieses Gemälde kennt, das seinen Schöpfer zur Kenntlichkeit verzerrt und dessen Porträtierten der Kunsthistoriker Giorgio Vasari als „mehr einem Engel als einem Menschen ähnlich“ rühmte. Und man kann davon ausgehen, dass sie es dem Manierismus zuzuordnen weiß, jenem Malstil, der von seinen Vertretern forderte, ganz der eigenen Malweise zu folgen.
Es geht dort bei Vasari in Elspaß‘ Gedichten um Wahrnehmen und Wahrgenommen werden, um alle Verzerrungen, die mit diesen Dynamiken einher gehen. Nicht selten erschüttert, was in diesem Band zu lesen ist, so etwa im ersten Gedicht „hungern“:
Das hoch gespannte Ich der Gedichte fordert viel von sich, aber ebenso viel von anderen. Die Enttäuschung über Ungleichzeitigkeiten, die so oft in Beziehungen auftauchen, spricht in den Versen mit:
heißt es in dem Gedicht „meinst du mich wenn du sprichst“. Viele der Gedichte lesen sich, auch dies ganz in der Tradition der confessional poetry, als hätte sie eine Rasierklinge in Haut geritzt: Ihr Ton ist scharf, klar, kennt den Schmerz, die Einsamkeit, aber eben auch den Wunsch, es möge anders werden, bei Elspaß im Analogen wie im Digitalen. Es ist ein Wunsch, der nicht selten in Verzweiflung umschlägt:
Originell, manchmal regelrecht witzig balanciert die Autorin in ihrem zweiten Band Resignation und Selbstironie, Ernst und Komik menschlichen Daseins aus. „hungern beten heulen schwimmen“ setzt fort, was Sirka Elspaß schon in ihrem Debut gezeigt hat: hier ist eine Autorin am Werk, die poetisch wahrnimmt, denkt und spricht.
Wie die Gedichte ihrer poetischen Vorläuferinnen, die explizit mit tradierten Mustern von Mutterschaft und Frausein abrechneten, so kontert auch Elspaß‘ lyrisches Ich Kindheits- und überkommene Weiblichkeitsmuster, eine lieblose Übermutter, Körperideale, hadert mit Essstörungen, prekären Zuständen und muss umgehen mit überbordender Sehnsucht, die aus der Erfahrung von Lieblosigkeit herrührt:
„mutter
komm
es wird dunkel
hol mich
heim“Quelle: Sirka Elspaß – hungern beten heulen schwimmen
In „hungern beten heulen schwimmen“ finden sich zentrale Themen und stilistische Eigenheiten von Elspaß wieder. Das beginnt schon beim Titel, der wie „ich föhne mir meine wimpern“ Aktivität signalisiert und nun mit gleich vier Verben aufwartet.
Sie benennen nicht nur zentrale Facetten des Ichs, das hier spricht, und das sich als die Nahrung verweigerndes, auf etwas Metaphysisches gerichtetes, trauriges, aber dem Untergang trotzendes Ich zeigt. Die vier Verben überschreiben auch die vier Abteilungen des Bandes: jedem ist ein eigenes Kapitel zugeordnet. Diesen Kapiteln voraus geht wiederum eine Exposition. Konzeptuell ebenso wichtig wie diese Exposition ist jedoch das Motto:
Perhaps an angel looks like everythingQuelle: Sirka Elspaß – hungern beten heulen schwimmen
Wahrnehmen und wahrgenommen werden
Alles kann wie ein Engel aussehen. Sirka Elspaß zitiert hier das Langgedicht „Self portrait in a convex mirror“ des amerikanischen Dichters John Ashbery aus dem Jahr 1974. Die Komplexität ihres Mottos ist beträchtlich.
Bereits Ashberys Gedicht zitiert eines der berühmtesten Bilder der abendländischen Kunstgeschichte: Parmigianos „Selbstporträt im Konvexspiegel“ aus dem Jahr 1523 oder 1524. Es hängt im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Man darf annehmen, dass Elspaß dieses Gemälde kennt, das seinen Schöpfer zur Kenntlichkeit verzerrt und dessen Porträtierten der Kunsthistoriker Giorgio Vasari als „mehr einem Engel als einem Menschen ähnlich“ rühmte. Und man kann davon ausgehen, dass sie es dem Manierismus zuzuordnen weiß, jenem Malstil, der von seinen Vertretern forderte, ganz der eigenen Malweise zu folgen.
Es geht dort bei Vasari in Elspaß‘ Gedichten um Wahrnehmen und Wahrgenommen werden, um alle Verzerrungen, die mit diesen Dynamiken einher gehen. Nicht selten erschüttert, was in diesem Band zu lesen ist, so etwa im ersten Gedicht „hungern“:
„dem hunger kann ich abgewinnen
dass er nicht geht dem beten
dass mich jemand sieht dem schwimmen
ein ziel
es ist doch immer das gleiche“Quelle: Sirka Elspaß – hungern beten heulen schwimmen
Ein Ton, der den Schmerz kennt
Das hoch gespannte Ich der Gedichte fordert viel von sich, aber ebenso viel von anderen. Die Enttäuschung über Ungleichzeitigkeiten, die so oft in Beziehungen auftauchen, spricht in den Versen mit:
„meinst du
mich wenn du sprichst
wenn wir uns sprechen sprechen wir
aneinander vorbei meine worte
treffen dich am knie du verdrehst
die buchstaben in alle erdenklichen richtungen“Quelle: Sirka Elspaß – hungern beten heulen schwimmen
heißt es in dem Gedicht „meinst du mich wenn du sprichst“. Viele der Gedichte lesen sich, auch dies ganz in der Tradition der confessional poetry, als hätte sie eine Rasierklinge in Haut geritzt: Ihr Ton ist scharf, klar, kennt den Schmerz, die Einsamkeit, aber eben auch den Wunsch, es möge anders werden, bei Elspaß im Analogen wie im Digitalen. Es ist ein Wunsch, der nicht selten in Verzweiflung umschlägt:
„keine neuigkeiten es gibt keinen weg
zurück ins paradies ich gebe den tieren meinen namen
ich schaue sie an und denke jetzt denken sie das
und das immer tröstlich das zu denken wahrscheinlich
aber denken sie etwas anderes ich schaue
naturfilme mit zimmer-soundtrack und plot
twists unter antilopen
that must be paradise schalte ab esse eine feige
of course
there's some drama but it’s in fact quite epic schalte ein
ich habe eine furchtbare ahnung gibt es etwa keinen weg
zurück immer wenn
ich gerade ein lieblingstier nach mir benannt habe wird es
kurz darauf von einem anderen gefressen“Quelle: Sirka Elspaß – hungern beten heulen schwimmen
Originell, manchmal regelrecht witzig balanciert die Autorin in ihrem zweiten Band Resignation und Selbstironie, Ernst und Komik menschlichen Daseins aus. „hungern beten heulen schwimmen“ setzt fort, was Sirka Elspaß schon in ihrem Debut gezeigt hat: hier ist eine Autorin am Werk, die poetisch wahrnimmt, denkt und spricht.
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